Übermorgen hab ich 10jähriges Jubiläum – und zwar die Feststellung meiner psychischen Erkrankung. Zeitgleich mit meinem 43. Geburtstag. Darum weiß ich nicht so genau, ob dies ein Tag zum Feiern für mich ist.
Ich fühl mich gerade auch nicht so gut. Psychisch wie körperlich. Ich bin wohl doch in eine leicht depressive Phase gerutscht. Ich schlafe tagsüber immer wieder ein, mein Antrieb reicht gerade um den Tag so zu schaffen und ich werde jeden Tag erschöpfter. Körperlich sind ein paar Wehwechen aufgetaucht, auf die ich auch gut verzichten könnte (Gelenks- und Muskelschmerzen).
Somit hab ich eher ambivalente Gefühle was meinen Geburtstag angeht. Auch weil mir eher nach Rückzug und Reflexion ist, als nach Besuch und dessen Bewirtung. Na mal schauen, vielleicht fühle ich mich übermorgen ja zumindest körperlich besser.
Was bedeutet es für mich 10 Jahre offiziell ein Psycho zu sein? Ich weiß es nicht genau. Es bringt Einschränkungen und Behinderungen mit sich. Die Erkrankung hat aber auch zu meinem Leben, wie es jetzt ist, geführt – und damit meine ich die tollen Dinge, die ich erleben durfte und darf. Die Krankheit jetzt als Bereicherung anzusehen, halte ich allerdings für übertrieben. Sie gehört halt zu mir und meinem Leben dazu, macht mich zu einem gewissen Teil aus und wird vermutlich noch eine ganze Weile bei mir bleiben. Damit einen guten Umgang zu finden halte ich noch immer für meine größte Aufgabe in diesem Zusammenhang. Auch wenn mir mein Doc versichert, ich würde das gut hinkriegen, meine ich, da wäre noch gut Luft nach oben. Insbesondere der Umgang mit meinem ganz persönlichen Stress und dessen Verarbeitung gelingt mir noch nicht so, wie ich mir das vorstelle.
Auch der offenen Umgang mit meiner Diagnose gestaltet sich nicht so leicht und unbeschwert, wie ich mir das erhofft hatte. Und leider wirkt sich das auch auf den Freundeskontakt meiner Kinder aus. Wie es sich herausgestellt hat, sollte ich den Müttern gegenüber eher verschweigen als aufklären. Was ich sehr schade finde und auch zu Enttäuschungen auf meiner Seite führt. Aber irgendwie ist es auch verständlich, dass die Angst um die Sicherheit der eigenen Kinder überwiegt.
In meinem erwachsenen Umfeld bzw. Bekanntenkreis ist es einfacher. Da kommt mir eher Interesse und Mitgefühl entgegen. Dennoch posaune ich meine Diagnose nicht herum, sondern erzähle halt wenn es sich in der Situation ergibt.
Jetzt z.B. habe ich schon wieder die Befürchtung, dass sich eine Mamabekanntschaft zerschlägt aufgrund meiner Erkrankung – nicht direkt aufgrund der Diagnose, aber aufgrund der Einschränkungen die meine Leistungsfähigkeit betreffen. Ich schaffe es da nicht „Scheiß drauf“ zu sagen, schließlich geht es da auch um die Kinderfreundschaft meiner Kinder. Aber sollte es dazu kommen, kann ich es auch nicht positiv beeinflussen. Kein gutes Gefühl.
Die andere Seite ist, mein Leben wäre ohne Erkrankung bestimmt anders verlaufen. Dann hätte ich meine Familie – meine Kinder nicht.
Meine größten Stressoren – meine stärksten Antidepressiva und Motivationsgründe.
Wie sind die 10 Jahre verlaufen?
Ein ständiges Auf und Ab. Absehbare Psychosen und depressive Phasen, zum Teil auch in Kauf genommen – keine längeren stabilen Zeiten (damit meine ich ein halbes Jahr oder länger) – Experimente mit der Medikation, die in die Hose gingen – zuerst Vollzeitjob, dann immer mehr Rückzug aus dem beruflichen Leben – teilweise keine Autofahren mehr möglich und damit starke Einschränkung der persönlichen Freiheit – angenehme und weniger angenehme Erfahrungen in den Kliniken – Ablehnung und Annahme meiner Person – Schwerbehindertenausweis – soziale Phobien bis zum kompletten Rückzug – Selbstmordgedanken – angstbesetzte Schwangerschaften – Demütigung – Achtung – Überforderung – …
Ich bin um einige Erfahrungen reicher geworden, habe aber auch starke Einschränkungen erfahren. Ich erlebe die Krankheit als Behinderung meiner sozialen, kognitiven aber auch körperlichen Fähigkeiten. Ich kann sagen, ich akzeptiere meine Erkrankung und hadere selten damit – könnte aber gut und gerne darauf verzichten.
Aber so ist es nun mal wie es ist. Ich lebe gern und geb nicht auf! Ich wünschte nur, es gäbe mehr Toleranz und weniger Horrormeldungen in den Medien!